Wenige Länder haben zu Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg eine so komplexe Postgeschichte wie Marokko. Dort tummelten sich einerseits vier Großmächte (Großbritannien, Frankreich, Spanien und Deutschland) und unterhielten heftig konkurrierende Auslandsposten. Gleichzeitig standen sie im Wettbewerb mit der neugeschaffenen Scherifischen Staatspost. Und zu alledem betrieben private Unternehmer zwischen ausgewählten Städten in einer Art „Tandem“-Service eigene Botendienste, die die bestehenden Einrichtungen ergänzten. Daraus ergaben sich ansprechende Mischfrankaturen.

Die „europäischen Posten“ in Sonderheit von Großbritannien und Frankreich sind in der Vergangenheit hinreichend erforscht worden. Vernachlässigt wurden hingegen die privaten Botendienste, wenn man einmal von der Katalogisierung der Marken in französischen Katalogen absieht. Das vorliegende Werk ist die erste umfassende und detaillierte Darstellung dieser Einrichtungen.

Zunächst umreißen die Autoren den geschichtlichen Hintergrund zum Verständnis der Gründung der Scherifischen Post und zeichnen anschließend die Geschichte jeder einzelnen Privatpostanstalt nach. Besondere Würdigung in einem eigenen Kapitel erfahren die Rekkas, jene unerschrockenen Postboten, die in dem unwegsamen Bergland bei Wind und Wetter unter schwierigsten Bedingungen ihren Dienst verrichteten. Ihr Einsatz und ihre Zuverlässigkeit haben die Entwicklung des Postwesens erst ermöglicht.

Intensiv forschten die beiden Autoren in diplomatischen Archiven Frankreichs und dem Nationalarchiv Gibraltars, weshalb sie mit überraschenden Erkenntnissen aufwarten können: Sie berichtigen zahlreiche Daten zur Lebensdauer der Posten – 14 der 21 Einrichtungen bestanden nur ein bis drei Jahre – und entdeckten sogar die bislang unbekannte Botenlinie Marx & Co. zwischen Saffi und Marrakesch; sie korrigieren die bisherige Annahme, die Linie von Mazagan nach Marrakesch sei ein anglo-italienisches Unternehmen war, und weisen nach, dass sie ausschließlich von dem Italiener Morteo betrieben wurde; sie stoßen auf einen Nachdruck der Marke Demnat/Marrakech auf Bedarfsbeleg mehr als zwanzig Jahre nach Ende des Botendienstes; sie stellen klar, dass die cachets maghzen, die Negativstempel der Scherifischen Post, in Wirklichkeit Marken waren, erklären deren Form und Farbe und zeigen 84 von 156 möglichen Mustern auf Beleg.

Der englische und französische Test stehen sich seitenweise gegenüber. Von den mehr als 300 Abbildungen des Bandes präsentieren nicht weniger als 230 postgeschichtliche Belege. 18 Übersichtstabellen zu Postgebühren, der Seltenheit der Maghzen-Marken, einzelnen Botenlinien mit ihren Distanzen und benötigten Wegzeiten, Auflagezahlen von Marken usw. erlauben eine schnelle Orientierung. Anhänge zeigen u.a. alle Lokalpostmarken und deren Stempel sowie alle bekannten Maghzen-Marken. Jedes Kapitel endet mit ausführlichen Fußnoten und Quellenangaben; ein zweisprachiges Stichwortverzeichnis schließt den Band ab.

Hand in Hand mit der vorbildlichen Recherche geht die noble Aufmachung des Buches. Gut vierzig Jahre haben sich die beiden Autoren dem Sammelgebiet beschäftigt, und dieser Prachtband ist der verdiente Lohn ihrer Mühen. Interessenten sollten mit einer Bestellung nicht lange warten: die Erstauflage ist fast vergriffen.

Rainer von Scharpen, AIJP

[Marokko: Geschichte der Privaten Botendienste und der Scherifischen Post 1891–1913.] Zweisprachige Ausgabe. XVI + 375 S., A-4, farbige Abb.; Hardcover, Klebebindung, Lesebändchen. London: The Royal Philatelic Society London, 2019. ISBN: 978-1-913015-01-5. Preis: 65 £ (RPSL-Mitglieder 60 £) + Porto 21 £. Erhältlich bei: RPSL, 15 Abchurch Lane, London EC4N 7BW, United Kingdom. Online shop: http://www.rpsl.org.uk

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