Es gibt Publikationen, bei denen man nicht weiß, was man mehr bewundern soll: Die Tiefe und den Umfang der Forschung und Dokumentation, den Gehalt der erstmals in dieser Überfülle gebotenen Informationen oder aber die kombinierten Aspekte bedeutender philatelistischer und literarischer Fakten. Dieses neue 500 Seiten-Werk, herausgegeben von der Royal Philatelic Society London vereint all dies und so manches mehr in einem Buch, das weit über früheren Studien dieser Art hinaus eine bis heute einmalige Präsentation all der bekannten Kehrdruckpaare der ersten Ausgaben von Finnland bietet.

Gerade bei namhaften Sammlern waren diese Kehrdruckpaare stets sehr beliebt. Ab 3. März 1856 erschien in Finnland die erste Ausgabe zu 5 Kopeken in Blau und 10 Kopeken in Rosa in geringen Mengen in einem ovalen Design, dessen einfache Produktion zu Kehrdruck-Positionen führte. Zwei Jahre später, am 8. März 1858, wurde eine neue 5 Kopeken-Marke herausgegeben. Das Design war dasselbe wie zuvor, mit Ausnahme der Größe der Perlen in den Posthörnern, die nun länger waren. Diese Briefmarken wurden auf primitive Weise gedruckt, da die Druckmaschine, eine sehr einfache Hebelmaschine, die in einem Raum des Finanzministeriums in Helsinki an einem Holztisch befestigt war, nur eine Reihe von zehn Briefmarken auf einmal drucken konnte. Das vorbereitete Papier konnte 140 Abdrucke aufnehmen und wurde daher in sieben Teile geteilt. Eine Reihe von zehn Briefmarken wurde gedruckt, das Papier umgedreht und dann eine zweite Reihe gedruckt. So bestand jeder Zwanzigerbogen aus zehn Tête-Bêche-Paaren.

Bei namhaften Sammlern seit der Zeit eines Sir Daniel Cooper oder Marcellus Purnell Castle im 19. Jahrhundert fanden diese Ausgaben und Kehrdrucke in den letzten 100 Jahren ebenso große Beachtung wie z.B. bei Maurice Burrus, Rolf Gummesson, Hiroyuki Kanai, Luis Alemany Indarte oder Gustav Douglas. 1956 beschrieb L. Linder in seinem Buch „Finlands Ovalmärken“ deren Geschichte, soweit sie ihm damals bekannt war, vor ihm 1947 Pierre Grosfils-Berger, 1985 folgte Juhani Olamo und last but not least 1997 Leon Norman Williams, der in seinem Buch „Encyclopaedia of Rare and Famous Stamps“ (Band 2: The Biographies), immerhin 33 Seiten an Provenienz-Dokumentation und Schwarzweiß-Abbildungen der einzelnen ihm damals belegbaren Stücke bieten konnte.

Bjäringer/Sundberg gehen ihr Projekt deutlich anders an. Sie berücksichtigen nicht nur die Stücke, die in bekannten Spezialsammlungen – Besitzernamen wurden zuvor bereits genannt – enthalten waren, sie fokussieren sich auch auf die Philatelisten, die anders als Ferrari, Duveen, Lichtenstein, Hind, Lagerloef, Carol II., Caspary, Champion, Amundson und Gross (sie alle besaßen auch außerordentliche Seltenheiten dieser Ausgaben!) weniger oder gar kaum bekannt sind oder – wie sie schreiben – „in der philatelistischen Welt keine Spuren hinterlassen haben“. So entsteht die heute wohl vollständigste Auflistung aller bekannten Kehrdrucke, denen jeweils die Provenienzen und eine bibliografische Auflistung aller bisher bekannten Veröffentlichungen zugeordnet wird. Möglich wurde dies primär durch eine der besten privaten philatelistischen Bibliotheken, die Tomas Bjäringer sein eigen nennen kann. Seit Jahrzehnten war er weltweit auf der Suche nach Auktionskatalogen und anderen Publikationen, nach (farbigen!) Fotos und Belegstücken, die bislang noch nicht bekannt oder abgedruckt waren. Dabei zeigen sich beide Autoren auf der Höhe der Zeit, wie selbst die zahlreichen Fußnoten ausweisen.

Dieses Buch ist ein Buch, das man nicht besser machen kann und es dürfte für lange, sehr lange Zeit das Maß der Dinge zu diesem Thema sein. Auch in anderer Hinsicht, denn Tomas Bjäringer ist als Bibliophiler selbst eine Marke für sich. 1986 überraschte er bereits als Koautor mit Jan Billgren und L. H. Stone in: „Swedish Letter Rates to Foreign Destinations 1855–1895“, einem Standardwerk im Großformat mit 235 Seiten, Goldschnitt, Ledereinband mit goldener Buchrückenprägung und einem bibliophil gestalteten Schuber. Das heute sehr seltene Werk erschien seinerzeit in einer limitierten Auflage von nur 200 Exemplaren. Bei seinem neuen Buch legt Bjäringer noch eine Schippe drauf: Es wurde nur in 100 + 12 (!) Exemplaren gedruckt, von denen 100 vorab in Subskription angeboten wurden. Innerhalb von sechs Wochen war das inkl. Zoll + Versand von England knapp 400 Euro teure Luxusbuch (Leder-Hardcover mit goldener Titel- und Buchrückenprägung, Seiten mit Goldschnitt rundum, mit Schutzumschlag und speziell handgefertigten Lederschuber mit goldener Titelprägung!) ausverkauft!

Es mag der bekannten Tradition von A. M. Tracey Woodwards Buch „The Postage Stamps of Japan and Dependencies“ (Japan, 1928) geschuldet sein, dass Bjäringer – unterstützt und wohl initiiert von Jonas Hällström – noch eine Idee hatte, nämlich, von diesem Luxusbuch eine besondere Edition zur Rezensionszwecken in einer Auflage von nur 30 Exemplaren produzieren zu lassen. Diese unterscheidet sich vom „Original“ (es fehlt der Goldschnitt, Ledereinband und Schuber, ist nur ein ‚normales‘ Hardcoverbuch), aber der Inhalt ist nahezu identisch (mit Etikette „Review Edition“ No. … / The Publications Committee / Jonas Hällström / Chairman“). Immerhin: Woodwards „Review Copy“, auch abweichend auf normalem statt handgeschöpften Papier gedruckt, wurde unlängst im September 2023 bei Corinphila Veilingen in Amstelveen für 3.800 Euro zugeschlagen! Wie bereits zuvor gesagt: dieses Buch ist in jeder Hinsicht etwas ganz Besonderes und man kann den Autoren nur herzlich dazu gratulieren.

AIJP
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