KUMPF, Heinz-Jürgen, Sinn Féin Christmas Post Service in Derry and Other Parts of Northern Ireland 1975/-76–2018/-19. [Sinn Féin als Weihnachtspost-Dienstleister in Derry und anderen Teilen Nordirlands 1975/76–2018/19]. Format DIN A-4, 71 Seiten, 260 meist farbige Abbildungen, Softcover, Klebebindung, 2021. Preis: 22 € incl. Versand (Ausland: 24,10 €). Erhältlich bei: Wolfgang Fiedler, Am Mesterwinkel 12, 30952 Ronnenberg. Tel. 0178.8678997;w.w.fiedler@web.de.

Weihnachtspost mit politischer Botschaft

Wer hat sie noch nicht erhalten: vorweihnachtliche Grüße aus Christkindl, Himmelpforten, Engelskirchen oder St. Nikolaus? Hingegen dürften nur die wenigsten wissen, dass in Nordirland und speziell in Derry fast fünfzig Jahre lang ein privater Weihnachts-Postdienstleister arbeitete.

Angefangen hat alles im Jahr 1975 auf Initiative des Sinn Féin-Aktivisten Barney McFadden. Zusammen mit Tony Hassan und weiteren Gleichgesinnten stieß er das Projekt im Mai an. Dahinter stand eine politische ebenso wie eine soziale Zielsetzung. Politisch war der Service insofern, als die erheblich unter dem amtlichen Porto liegenden Gebührensätze der Sinn Féin-Privatpost als empfindliche Nadelstiche gegen das britische Postmonopol eingesetzt wurden. Und die soziale Komponente zeigt sich darin, dass mit den erzielten Einnahmen einsitzende „Republikanische Gefangene“ und deren Familien unterstützt sowie die Parteiarbeit insgesamt finanziert wurden.

Das britische Parlament hat den Postdienst offiziell nie genehmigt, ihn jedoch stillschweigend toleriert, um offene politische Auseinandersetzungen zu vermeiden. Der Service wurde während 15–20 Tagen vor Weihnachten angeboten. In dieser Zeit arbeiteten Parteimitglieder der Sinn Féin und deren Sympathisanten unentgeltlich als Zusteller der anvertrauten Briefe, Karten und gelegentlich auch Päckchen in einem ihnen zugewiesenen Bezirk von Derry. Das Angebot erwies sich als voller Erfolg, und so wurden die Leistungen nach und nach auf Außenbezirke, umliegende Ortschaften und sogar Belfast und Dublin ausgedehnt. Zum Start verbuchte man 50.000 Sendungen, bei ansonsten durchschnittlich 20.000 in den Anfangsjahren. Nach einer Steigerung auf 60.000 Beförderungen im Jahr 1984 nahm das Volumen dann allerdings beständig ab, gegen die Konkurrenz von SMS und E-mails konnte man auf Dauer nicht bestehen. Mit der Saison 2018/19 wurde die Privatpost deshalb eingestellt.

Freigemacht wurden die Sendungen mit eigenen Vignetten, sog. labels, die in den Parteibüros erhältlich waren. Die Motive kann man kaum weihnachtlich nennen. Vielmehr transportieren die Marken durchweg politische Botschaften. Den Auftakt machte 1975 die stilisierte Abbildung der brennenden Hauptpost von Dublin, umrandet von der Parole Sinn Féin – For a New Ireland. Dort hatte Patrick Pearse 1916 während des Osteraufstands die Unabhängigkeit Irlands ausgerufen. An politischen Slogans findet man Forderungen wie Stop the Show Trials [Hört auf mit den Schauprozessen], For a Socialist Republic oder Stop Strip Searches – eine gezielt zur Demütigung eingesetzte Methode, bei der sich im Armagh-Gefängnis Frauen ohne ersichtlichen Anlass zur Durchsuchung nackt ausziehen mussten. Versöhnlicher waren Parolen wie All Party Peace Talks [Allparteien-Friedensgespräche] oder National Self Determination [Nationale Selbstbestimmung]. Andere Labels zeigten Porträts von IRA-Helden, 1981 und 2000 beispielsweise Fotos der Hunger Strikers. Das letzte herausgegebene label war dem Gründer der Privatpost, Barney McFadden, gewidmet. Entwertet wurden die Vignetten mittels eines cachet, eines Gummistempels mit Angabe des Parteibüros und mitunter auch des Aufgabedatums. – Zusätzliche Einnahmen erzielte die Sinn Féin durch den Verkauf von Weihnachtskarten, Faltblättern, illustrierten Umschlägen und Werbepostern, auch diese mit eindeutigen politischen Forderungen.

Die heutige Recherche zu dem Gebiet wird erschwert durch den Umstand, dass Unterlagen kaum archiviert, Stempel verschlissen und zerstört, die meisten Dokumente vernichtet wurden. Der erste Versuch einer systematischen Erfassung erfolgte erst nach rund dreißig Jahren. So bleibt als Ausweg der intensive Austausch unter Sammlern und der Rückgriff auf die wenigen zeitgenössischen Zeitungsberichte. Das ein oder andere Detail beruht auf privatem Briefwechsel und vertraulichen Gesprächen vor Ort in politisch brisanter Zeit.

Kumpf gibt eine ausführliche Einführung zum historischen Hintergrund. Danach listet er in Teil 1 seiner Darstellung die im Laufe der Jahre erschienenen Vignetten und bildet in Teil 2 die bislang belegten cachets in natürlicher Größe ab. Zu jeder Position liefert er die verfügbaren Angaben zu Inschrift, Maßen, Bogengröße, Druckerei, Stempelfarbe, Verwendungszeit, mögliche ergänzende Hintergrundinformationen und bildet eine Reihe von Bedarfsbelegen ab. Damit ist die Publikation Handbuch und Katalog in einem. Deutschsprachige Besteller erhalten als Beilage die Einführung auf Deutsch. Es hätte den Umfang der Schrift sicherlich nicht gesprengt, sie in den Text zu integrieren. Wünschenswert wäre auch eine verbesserte Bildqualität durch höhere Auflösung und etwas größere Wiedergabe der labels.

Das Verdienst der über Jahre erstellten Studie liegt darin, erstmals detailliert ein weithin unbekanntes Sammelgebiet zu präsentieren. Nicht nur Philatelisten, die sich für irische Postgeschichte interessieren, werden die Schrift begrüßen. Weihnachts-Thematiker sollten sie beachten, auch wenn nur ein Randthema ihres Sammelgebiets berührt wird. Hinzu kommen Sammler der modernen Privatpost und in Sonderheit alle, die sich mit politischer Propaganda in der Philatelie befassen.

Rainer von Scharpen

Abb. 2: Sinn Féin-Weihnachtsmarke 1986: Britischer Soldat schlägt auf Irland ein

 

 

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