Literatur über die deutsche Besetzung von Belgien und Nordfrankreich ist reichlich vorhanden. Und dann wieder ein neues Buch? Zunächst: Auf Englisch gibt es bislang nichts zum Thema. Vor allem aber: Vorgelegt wird die erste zusammenhängende postgeschichtliche Darstellung. Gründlich bereitete sich der Autor vor: er durchforstete die Amtsblätter des Reichs-Postamts und der Kaiserlich Deutschen Post- und Telegraphenverwaltung in Belgien für die Jahre 1914-1918 ebenso wie die Rundbriefe der ArGe Deutsche Besetzung im 1. Weltkrieg und die Zeitschrift für Postgeschichte und Stempelkunde der besetzten Gebiete im Ersten Weltkrieg, Belgien und Nordfrankreich. Er studierte alle verfügbare Fachliteratur inkl. 14 Internetseiten – die Bibliographie umfasst mehr als sieben Seiten! – und korrespondierte mit über zwanzig Spezialsammlern. Das Ergebnis ist ein Werk, das hinsichtlich Tiefe der Forschung, Detailinformation und Akribie seinesgleichen sucht.

Mit Daten zur Besetzung Belgiens vom 31.7.14 („Zustand der drohenden Kriegsgefahr“) bis 31.10.14, als der deutsche Vormarsch erstmals gestoppt wird, beginnt das Buch. Das Land ist viergeteilt: das Generalgouvernement im Zentrum, Osten und Süden, von den verschiedenen deutschen Armeen verwaltet das Etappengebiet mit ständig wechselnden Grenzen, dann das Operationsgebiet und ein schmaler nicht besetzten Landstreifen längs des Flusses Yser. Am 13.10.1914 geht die Regierung ins französische Exil nach Sainte-Adresse bei Le Havre.

Entsprechend der Aufteilung des Landes ist das Buch gegliedert: Kapitel Eins behandelt das Generalgouvernement Belgien, Kapitel Zwei das Etappengebiet und Operationsgebiet, und Kapitel Drei das besetzte Frankreich, mit einem kurzen Blick auf die Lage in Elsass-Lothringen. Anhang I präsentiert handgemalte Karten zur territorialen Entwicklung der Vierteilung des Landes, Anhang II beleuchtet die Gliederungen der deutschen Armee an der Westfront und die jeweilige Position der Truppenteile, wozu auch sechs französische Spottkarten dienen.

Pizer arbeitet gern mit Übersichten: Zu einem bestimmten Teilaspekt wie unorthodoxen Beförderungsdiensten im besetzten Belgien und Nordfrankreich, dem Wertkästchendienst (wichtig für den Diamantenhandel in Antwerpen!) oder zur Zivilpostbeförderung im deutschen Etappengebiet, stellt er nach einem einführenden Text tabellarisch in einer Zeittafel komprimiert postalische Vorschriften und deren Veränderungen zusammen oder zeigt die Auswirkungen einer bestimmten militärischen Entwicklung auf das Postwesen. Das illustriert, differenziert und erweitert er nachfolgend mit Belegen aus der eigenen und mehreren prominenten anderen Sammlungen. Jedes Dokument erhält eine genaueste Analyse mit Übersetzung der Stempel, Beschreibung der Laufwege und Erklärung der Gebühren.

Am Beispiel der „Gneisenau“ lässt sich die Detailbesessenheit des Autors sehr schön aufzeigen. Der deutsche Postdampfer wurde auf dem Weg nach Australien im Hafen von Antwerpen noch vor der deutschen Einnahme der Stadt von Belgien versenkt. Um die Frage zu klären, was mit den möglicherweise auf dem Schiff befindlichen Brief- und Päckchensendungen geschah – bis heute ist noch kein derartiger Beleg aufgetaucht – studiert Pizer die örtliche und internationale zeitgenössische Presse, die Passagierliste, private Reiseberichte und Lloyds Liste. Er spielt sämtliche Möglichkeiten durch, von Zerstörung bei der Versenkung, Konfiszierung oder Vernichtung während des Bombardements der Stadt, alles untermauert durch genaue Quellenangaben. – Kurz gesagt: das Buch hätte bedenkenlos als Doktorarbeit eingereicht werden können.

Rainer von Scharpen, AIJP

[Deutsche Besetzung von Belgien und Nordost-Frankreich, 1914-1918. Der zivile Postdienst und Postgebühren: mit besonderer Betonung der Postgeschichte.] 234 S., Format A-4, 185 farbige Abb. und 10 handgemalte Karten; Softcover, Klebebindung. Winterborne Stickland, Blandford Forum (GB): The Postal History Society, 2019. ISBN: 978-0-85377-020-6. Preis: 20 £ + EU-Porto 9 £. Paypal + 2 €. Erhältlich bei: claire@historystore.ltd.uk.

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